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Auf dem Weg zum Standardmodell

5.1 Der Eichmeister

Wenn eine Wellenfunktion mit einem Phasenfaktor, d.h. einer konstanten komplexen Zahl vom Betrag 1, multipliziert wird, so beschreibt sie immer noch den gleichen physikalischen Zustand. Die Phasenfaktoren, $e^{i \lambda},~\lambda$ reell, sind Elemente der $U(1)$, d.h. wir könne das so ausdrücken: die Quantenmechanik ist invariant unter $U(1)$-Transformationen. Weyl fand es nun unplausibel, dass $\lambda$ tatsächlich eine Konstante sein muss, selbst wenn die Wellenfunktion sich über noch so grosse Gebiete erstreckt. Er nannte dies einen Fernparallelismus, der zu verwerfen sei.Er forderte daher, dass aus der Wellenfunktion auch noch die gleiche Physik folge, wenn der Phasenfaktor von Raum und Zeit abhängt, also die Wellenfunktion mit $e^{i e
\lambda (\vec x,t)}$ multipliziert wird. Die Verwerfung des Fernparallelismus bedeutet: Die Wellenfunktion $u(\vec x,t)$ und die ,,umgeeichte'' Wellenfunktion $e^{i
\lambda (\vec x,t)}u(\vec x, t)$ beschreiben die gleiche physikalische Situation. Dies scheint unmöglich, denn die Wellenfunktion eines freien Fermions $u(\vec x,t)$ genügt einer linearen Differentialgleichung, der Dirac-Gleichung (1.12):

\begin{displaymath}
\left(\gamma _0 \frac{\partial }{ \partial x_0} +
\gamma _1 ...
..._3 \frac{\partial }{\partial x_3} -m c^2\right)u(\vec x, t) =0
\end{displaymath} (5.1)

($x_0=c t$)

Dass die $\gamma ^\rho$ $4\times 4$-Matrizen sind, spielt hier keine Rolle. Wenn Ihnen Matrizen unsympathisch (weil nicht vertraut) sind, können sie für diese überlegung auch annehmen, die $\gamma$-Matrizen seien einfache Zahlen.

Wenn die Umeichung:

\begin{displaymath}
u(\vec x, t) \to u'(\vec x, t)=e^{i e \lambda (\vec x,t)}u(\vec x, t)
\end{displaymath} (5.2)

vorgenommen wird, so genügt $u'(\vec x, t)$ nicht mehr der Dirac-Gleichung (5.1), denn nach der Produktregel gilt:
    $\displaystyle \left(\gamma _0 \frac{\partial }{ \partial x_0}+
\gamma _1 \frac{...
...partial x_2}
+ \gamma _3 \frac{\partial }{\partial x_3} -m \right)u'(\vec x, t)$ (5.3)
  $\textstyle =$ $\displaystyle \Bigg(\gamma _0 [\frac{\partial }{ \partial x_0}u(\vec x, t)+
i\,e\,u(\vec x, t) \frac{\partial }{\partial x_0}\lambda (\vec x,t)]$  
  $\textstyle +$ $\displaystyle \gamma _1 [\frac{\partial }{ \partial x_1}u(\vec x, t)+
i\,e\,u(\vec x, t) \frac{\partial }{\partial x_1}\lambda (\vec x,t)]$  
  $\textstyle +$ $\displaystyle \gamma _2 [\frac{\partial }{ \partial x_2}u(\vec x, t)+
i\,e\,u(\vec x, t) \frac{\partial }{\partial x_2}\lambda (\vec x,t)]$  
  $\textstyle +$ $\displaystyle \gamma _3 [\frac{\partial }{ \partial x_3}u(\vec x, t)+
i\,e\,u(\...
...rtial x_3}\lambda (\vec x,t)] - m \,u(\vec x, t)\Bigg)
e^{i \lambda (\vec x,t)}$  
  $\textstyle =$ $\displaystyle \Bigg( \gamma _0\frac{\partial }{\partial x_0}\lambda (\vec x,t)+...
...}\lambda (\vec x,t) +\gamma _2\frac{\partial }{\partial x_2}\lambda (\vec x,t)+$ (5.4)
    $\displaystyle ~~~~~~\gamma _3\frac{\partial }{\partial
x_3}\lambda (\vec x,t)\Bigg)i\,e\,u(\vec x, t) \neq 0$  

Wir müssen also diesen Term los werden.

Dies geschieht, indem wir die Gleichung modifizieren, und zwar zu:

$\displaystyle {\Big(i \gamma_0 [\frac{\partial }{\partial x_0}+i e A^0]+
\gamma...
...al }{\partial x_1}+i e A^1]+
\gamma_2 [\frac{\partial }{\partial x_2}+i e A^2]}$
    $\displaystyle ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~+\gamma_3 [\frac{\partial }{\partial x_3}+i e A^3] -m
\Big) u(\vec x,t)=0$  

Wenn die Wellenfunktion gemäss 5.2 umgeeicht wird und gleichzeitig noch das neu eingeführte 4-Vektor Feld $(A^0,\vec A)$ auf folgende Weise umgeeicht wird:

\begin{displaymath}
A^\rho(\vec x,t) \to {A'}^\rho(\vec x,t)=A^\rho(\vec x,t)-\f...
...ial }{\partial
x_\rho}\lambda (\vec x,t), ~~~ \rho=0 \dots 3,
\end{displaymath} (5.6)

dann kann man leicht folgendes nachrechnen: Wenn $u(\vec x,t)$ und $A(\vec x ,t)$ Lösungen von 5.5 sind, auch $u'(\vec x, t)$ und $A'(\vec x ,t)$ Lösungen sind!

Nun ist aber 5.6 gerade die altbekannte Umeichung des 4-Potentials in der Elektrodynamik, bestehend aus dem elektrischen Potential $A^0$ und dem magnetischen Vektorpotential $\vec A$; (5.5) ist die Dirac-Gleichung für ein geladenes Teilchen in einem elektromagnetischen Feld. Dies ist die erfolgreiche Gleichung die auf Anhieb das Problem der Feinstruktur im H-Atom löst und das richtige gyromagnetische Verhältnis des Elektrons ergibt. Wir sehen also, wenn wir nur Invarianz unter der Umeichung (5.2) fordern, dann folgt die Existenz des elektromagnetischen Feldes und seine Wechselwirkung mit einem geladenen Teilchen, beschrieben durch Gleichung (5.5). Das elektrische und das magnetische Feld wird von der Umeichung der Potentiale (5.6) nicht beeinflusst. Ich gebe hier nur die 1-Komponente des elektrischen ($\vec E$) und magnetischen ($\vec B$) Feldes an:

\begin{displaymath}
E^1= \frac{\partial }{\partial x_1} A^0 - \frac{\partial }{\...
...rtial }{\partial x_2} A^3 - \frac{\partial }{\partial x_3} A^2
\end{displaymath} (5.7)

Fassen wir zusammen: Es gibt unbestritten in der Quantenmechanik eine Symmetrie: Multipliziert man die Wellenfunktionen mit einem Phasenfaktor, also einer komplexen Zahl vom Betrag 1, so ändert dies nichts an den Ergebnissen. Fordert man, dass die Symmetrie auch gilt, wenn der Phasenfaktor an jedem Punk des Raum-Zeit-Kontinuums andere Werte annehmen kann, also eine beliebige Funktion von Raum und Zeit-Koordinaten ist, so sagt man heute allgemein, man habe diese Symmetrie geeicht. Die verschärfte Forderung nach Eichsymmetrie führt zu weitreichenden dynamischen Konsequenzen: Es muss ein neues Feld, hier neben dem Materiefeld für die geladenen Teilchen auch noch das elektromagnetische Feld eingeführt werden, und die Wechselwirkung des neuen Feldes mit den bisherigen ist auch schon festgelegt.

Die Wechselwirkung geladener Fermionen mit dem elektrischen Feld (1.18) folgt direkt aus (5.5).

5.2 Die Eichungen werden mehrdimensional

Die Transformationen der $SU(2)$-Gruppe werden erzeugt durch die Pauli-Matrizen $\sigma _k$ (1.40), d.h. ein Iso-Spinor $\chi$ geht über in

\begin{displaymath}
\chi \to \chi'= e^{i g \sum_k \lambda_k \sigma _k} \chi
\end{displaymath} (5.8)

wobei die Summe von 1 ...3 läuft, $g$ ist die $SU(2)$ Eichkopplung. Die $SU(2)$-wird geeicht, indem man die 3 reellen Koeffizienten $\lambda _1,\lambda _2,\lambda _3$ von Raum und Zeit abhängen lässt:
\begin{displaymath}
\chi \to \chi'= e^{i\sum_k \lambda_k(\vec x,t) \sigma _k} \chi
\end{displaymath} (5.9)

bei einer geeichten $SU(2)$ muss man wegen der 3 Erzeugenden auch 3 Eich-4-Potentiale: $A^0_{(i)},A^1_{(i)},A^2_{(i)},A^3_{(i)}),~~i=1,2,3$ einführen.

Die Analoga der elektrischen und magnetischen Felder sind bei einer solchen ,,nichtabelschen Eichtheorie'' komplizierter, etwa für die 1-Komponente des 1. (von 3) ,,elektrischen'' Feldern:

\begin{displaymath}
E^1_{(1)} = \frac{\partial }{\partial x_1} A^0_{(1)} - \frac...
... x_0} A^1_{(1)}
+i g (A^1_{(2)} A^0_{(3)}-A^0_{(2)} A^1_{(3)})
\end{displaymath} (5.10)

Es ist der zusätzliche nichtlineare Term $i g (A^1_{(2)}
A^0_{(3)} - A^0_{(2)} A^1_{(3)} )$. der für die Kopplung der Eichbosonen aneinander (Fig. 5.3a und b) verantwortlich ist.

5.3 Spontane Symmetriebrechung

Wie im Haupttext erwähnt, fassen wir die beiden reellen Felder $F_1$ und $F_2$ zu einem komplexen Feld zusammen:

\begin{displaymath}F(\vec x,t) =
F_1(\vec x,t)+ i F_2(\vec x,t).\end{displaymath}

Die statische Feldenergie schreibt sich dann einfach als:

\begin{displaymath}V(F) = M F(\vec x,t)^*F(\vec x,t) +
g \Big( F(\vec x,t)^*F(\vec x,t)\Big)^2\end{displaymath}

wobei der hochgestellte Stern $^*$ komplexe Konjugation bedeutet.

Das komplexe Feld $F$ zerlegen wir in den Betrag $\eta(\vec x, t)$ und die Phase $\zeta(\vec x, t)$ :

\begin{displaymath}
F(x) = \frac{1}{\sqrt{2}}(\eta(\vec x, t) +\sqrt{2} \;v)
\exp \Big[i \frac{\zeta(\vec x, t)}{\sqrt{2 v\;}}\Big]
\end{displaymath} (5.11)

wobei wir die Verschiebung $v=\sqrt{-M/(2 g)}$ des Feldes so gewählt haben, dass das Minimum der statischen Energie bei $\eta = 0$ liegt. Aus 5.11 folgt
\begin{displaymath}
F(\vec x, t)^* F(\vec x, t) =\frac{1}{2} (\eta(\vec x, t) +\sqrt{2}
\;v)^2\end{displaymath} (5.12)

und wir erhalten nach leichter Rechnung:
\begin{displaymath}V = -M \eta^2 + \eta^3 \sqrt{-M g~} + \frac{g}{4} \eta^4 -
\frac{M^2}{2 g} \end{displaymath} (5.13)

In der statischen Feldenergie taucht das $\zeta$-Feld nicht auf, insbesondere hat es also keinen Massenterm, das $\zeta$-Feld ist das Feld des masselosen Goldstone-Bosons.

Es taucht nur noch im kinetischen Beitrag zur Feldenergie auf, und der liefert auch eine charakteristische Wechselwirkung des $\zeta$-Feldes mit dem $\eta$-Feld. Das $\eta$ Feld hat einen Masseterm $-M \eta^2$, der positiv ist, da $M$ negativ ist.

Wenn wir nun Störungstheorie in den Feldern $\zeta$ und $\eta$ treiben, finden wir den folgenden Teilcheninhalt:

Ein Goldstone-Boson mit Masse 0, das Feldquant des $\zeta$-Feldes sowie ein ,,Higgs-Boson'' mit Masse $\sqrt{-M}$, das Feldquant des $\eta$-Feldes.

5.4 Das Festmahl von Higgs und Kibble

Wird an das skalare Feld $F$ noch ein Eichfeld angekoppelt (z.B. ein elektromagnetisches), so gibt es als Beitrag zur statischen Feldenergie ausser den schon erwähnten Beiträgen noch den zusätzlichen Wechselwirkungsterm des Feldes $F$ mit dem Eichpotential $A_\mu$. Dieser Term ist :

\begin{displaymath}e^2 \sum_{\mu=0}^3 A_\mu (\vec x,
t)A^\mu(\vec x, t) F(\vec x, t)^* F(\vec x, t),\end{displaymath} (5.14)

d.h. wir haben
\begin{displaymath}
V(F) = M F^*F +
g \Big( F^*F\Big) + e^2 \sum_\mu A_\mu A^\mu
F^* F\end{displaymath} (5.15)

wobei wir kurz $F$ für $F(\vec x, t)$ schreiben usw.

Ersetzen wir nun wieder nach (5.11) $F$ durch $\eta$ und $\zeta$, so erhalten wir:

\begin{displaymath}V = -M \eta^2 + \eta^3 \sqrt{-M g~} + \frac{g}{4} \eta^4 -
\f...
...{1}{2} \eta^2 +\sqrt{\frac{-M}{g}}\eta +
\frac{-M}{2 g} \Bigg)
\end{displaymath} (5.16)

Wir sehen, dass wir nun auch einen quadratischen Term im Eichpotential haben, nämlich $\frac{-M}{2 g} \, e^2\, \sum_\mu A_\mu A^\mu$. Die ist ein Massenterm, das Eichfeld hat also eine Masse

\begin{displaymath}m_A= \frac{-M}{2 g}\,e^2 \end{displaymath}

bekommen.

Das Goldstone Boson mit seinem Feld $\zeta$ tritt zwar immer noch formal auf, aber wir können es in diesem Falle der spontanen Symmetriebrechung einer Eichsymmetrie wegeichen: Ersetzen wir nämlich (vgl. 5.2,5.6):

\begin{displaymath}
F\to e^{-i \zeta/\sqrt{2 v}}F , ~~~
A_\mu \to A_\mu + \frac{\partial }{\partial x^\mu}\frac{\zeta}{\sqrt{2 v e}},
\end{displaymath} (5.17)

so eliminiert diese Umeichung das $\zeta$-Feld aus (5.11) vollständig, ändert aber nichts an der Physik, da es sich ja nur eine Umeichung handelt.

5.6 Bessere Zähler, bessere Beschleuniger und bessere Strahlen

Die Gesamtenergie $W$ im Schwerpunktsystem ist gegeben durch $W^2=s=(p_1+p_2)^2$. Im Laborsystem (ruhendes target) ist $p_1=(m_1,
\vec 0\,)$ also

\begin{displaymath}
W=m_1^2+m_2^2+2\sqrt{m_1E_2}.
\end{displaymath} (5.18)

Die Gesamtenergie im Schwerpunktsystem steigt also nur mit der Wurzel der Gesamtenergie $E_2$ des beschleunigten Teilchens an.

Werden dagegen die beiden Teilchen mit gleichem, aber entgegengesetzt gerichteten Impuls beschleunigt, also $\vec p_1=-\vec p_2$, dann ist

\begin{displaymath}
W=E_1+E_2,
\end{displaymath} (5.19)

die Gesamtenergie steigt also linear mit der Energie an.

5.7 Die Elektronenmikroskope der Elementarteilchenphysik Beim elastischen Zusammenstoss zweier Teilchen ist die maximale Impulsübertragung:

\begin{displaymath}
\vert Q\vert\leq 2 \vert\vec p\,^*\vert
\end{displaymath} (5.20)

wobei der Impuls im Schwerpunktsystem, $ \vec p\,^*$ gegeben ist durch, s. (3.6)
\begin{displaymath}
\vert\vec p\,^*\vert=\sqrt{\frac{(W^2-(m_1+m_2)^2)(W^2-(m_1-m_2)^2)}{4 W^2}}
\end{displaymath} (5.21)

wobei $W$ die Gesamtenergie im Schwerpunktsystem ist. Für relativistische Teilchen können die Massen vernachlässigt werden und es gilt näherungsweise:
\begin{displaymath}\vert Q\vert \leq W \end{displaymath} (5.22)

Dies ist der Grund, warum man hohe Energien braucht, um kleine Strukturen aufzulösen.

5.8 Tief inelastische Streuung

Entscheidend für die Analyse der tiefinelastischen Streuung ist das optische Theorem: Der untere Teil des Graphen von Abb. 5.13 kann als die Streuung eines virtuellen Photons mit einem Proton betrachtet werden, der obere Teil ist aus der QED bekannt. Daher misst man sozusagen in der tief inelastischen Streuung den totalen Wirkungsquerschnitt für die Streuung eines virtuellen Photons an einem Proton. Dieser totale Querschnitt ist wiederum proportional dem Imaginärteil der Vorwärtsstreuamplitude, die man theoretisch analysiert.

Im Detail ist die Behandlung der tiefinelastischen Streuung sehr kompliziert, da es aufgrund des Spins und der verschiedenen Ströme (schwacher und elektromagnetischer) insgesamt 3 Strukturfunktionen gibt. Um sie zu bestimmen braucht man sehr detaillierte Messungen mit Elektronen oder Positronen und Neutrinos.


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Hans-Guenter Dosch
2004-11-21